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"Reichsparteitag" - das ist ein Begriff, der es zu fragwürdiger internationaler Bekanntheit gebracht hat. Gemeint sind damit die propagandistischen Jubelschauen und Selbstinszenierungen der Nationalsozialisten, die sie in Nürnberg, hier auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände und in der Innenstadt, von 1933 bis 1938 einmal im Jahr veranstalteten. Bereits 1927 und 1929 noch in der Weimarer Republik, hatten sie im Luitpoldhain und der Luitpoldhalle und am Hauptmarkt diese Treffen der braunen Bewegung veranstaltet. Nürnberg war aus ihrer Sicht der ideale Austragungsort dafür. Franken war bereits vor dem Ersten Weltkrieg eine Hochburg des Antisemitismus; die traditionsreiche Geschichte der Stadt im Mittelalter als ein politischer Ort mit der Abhaltung königlicher Reichstage, als Kunst- und Kulturzentrum und der Silhouette der Kaiserburg ließen sich trefflich für die NS-Ideologie instrumentalisieren für die angebliche Verbindung von der Stadt der Reichstage zur "Stadt der Reichsparteitage". Und Nürnberg war bereits vor 1933 eine NS-Hochburg, die Wahlergebnisse aus dieser Zeit lassen daran keinen Zweifel. Von Nürnberg aus organisierte Julius Streicher, von Hitler zum "Frankenführer" gekürt, die Aktionen und den Aufbau der NSDAP in Franken. Dabei wurde er indirekt unterstützt von nationalkonservativ eingestellten Behörden. Schließlich waren mit dem Freizeitgelände am Dutzendteich Aufmarschflächen wie der Luitpoldhain mit einer eigenen Versammlungshalle vorhanden. Aufgrund all dieser für die NS-Bewegung sehr günstigen Bedingungen stand fürHitler bereits 1929 fest, das, sollte die NSDAP an die Macht kommen, Nürnberg die "Stadt der Reichsparteitage" werden würde. Und so geschah es dann auch. | |
Das beunruhigende daran ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung dem NS-Regime passiv loyal gegenüberstand. Die Stimmung in Nürnberg während der Reichsparteitage war fröhlich, heiter und gelassen. Sie waren für die NS-Machthaber sehr erfolgreiche Veranstaltungen, wissenschaftlich ausgedrückt bildeten sie einen außerordentlich stabilisierenden Faktor der NS-Gewaltherrschaft bis zum Kriegsbeginn 1939, ohne den die Einstimmung der Menschen auf den bevorstehenden Krieg nicht möglich gewesen wäre. Viele Teilnehmer der Reichsparteitage empfanden ihren Auftritt, vor Hitler als Arbeitsdienst- oder Wehrmachtsoldat stramm zu stehen, als beeindruckendsten bzw. unvergesslichen Moment in ihrem Leben. Sie ließen sich auf die Ziele der NS-Bewegung einschwören. Die aber lauteten auf Kampf, Krieg und Eroberung der Weltherrschaft - ein tödliches Programm. | |
Wie aber war es möglich, das dies so funktionieren konnte? Das ist eine der meist gestellten Fragen für Historiker und an der Sache interessierte Menschen bis heute. Die Wissenschaft weiß darauf mehrere, wenn auch sicher keine vollständig zufriedenstellenden Antworten. Hier stellvertretend nur eine davon: Die Propagandaspektakel griffen Gefühle und Sehnsüchte der Menschen nach einer besseren Zukunft und einer konfliktfreien Gesellschaftsordnung auf. Es wollte den Teilnehmern und Zuschauern jedoch nicht primär eine Pause von den alltäglichen Mühen oder den politischen Krisen verschaffen, sondern zielte im Gegenteil auf die Emotionalisierung von Politik. Wenn es der NS-Führung gelang, Akteure und Publikum zu faszinieren, dann hatte es diese Faszination allerdings in sich: Denn sie beruhte - psychologisch gesprochen - auf einer Identifikation mit dem Aggressor. Das erwünschte Schutzbedürfnis unter dem Gewaltmonopol des Souveräns geriet in den verunsichernden Zeiten der Moderne immer mehr in Widerspruch zur geschichtlichen Entwicklung und der erlebten Katastrophe des Ersten Weltkrieges, dem für viele als Schmach empfundenen Abschluß des Versailler Friedensvertrages mit seinen harten Bedingungen für das besiegte Deutsche Reich und der Weltwirtschaftskrise. Die Enttäuschung und Frustration darüber führte zu Aggressivität, die jedoch keine Perspektive bot. Die verdrängte Wut kehrte in der Faszination der Gewalt bis hin zur fanatischen Begeisterung und Identifikation mit dem NS-Regime zurück. Schließlich wollten die Menschen an der Gewalt, deren Wirksamkeit sie an sich selbst erfahren hatten, teilhaben, aber nicht als Opfer, sondern als Täter. Das ist ein Grund, warum so viele das "Erlebnis von Nürnberg" so erhebend und beglückend empfanden. Und diese Akzeptanz fand auch in den Gewalttätigkeiten, den Terrorakten, die bereits geschehen waren, keine Schranken. Im Gegenteil - sie sollten nicht wenige von ihnen zu einer Gewalt in noch ungeahnten Dimensionen befähigen: zum Völkermord. Martin Weiß-Paschke versucht in seinem Buch Reichsparteitag mit ganz eigenen Stilmitteln, darauf Hinweise und Antworten zu geben. Er hat nach Wissen des Dokumentationszentrums als erster das Genre des Kriminalromans verwendet, um die mentale und geistige Borniertheit der Mehrheitsbevölkerung bloßzulegen, ohne die der Nationalsozialismus niemals seine Herrschaft hätte erhalten und festigen können. Das ist ihm ausgezeichnet gelungen. Sein Held, der Kriminalkommissar Scheuerlein, der einen Mord an einer Frau kurz vor der Eröffnung des Reichsparteitags 1938 aufzuklären hat, erahnt die abgründige Mentalität der Mehrheit seiner Zeitgenossen, für die die Region Franken einen fruchtbaren Nährboden bot: Werte von Mittelmäßigkeit, Kritiklosigkeit gegenüber idealisierten moralischen Autoritäten, Aberglaube und Stereotypie, der Glaube an das Bestimmtwerden des Einzelschicksals durch geheimnisvolle Mächte, die Identifikation mit Figuren, die Macht und Stärke repräsentieren, Destruktivität und Zynismus, die Verächtlichmachung des Menschlichen, Geistesfeindlichkeit, bornierte Dummheit, Spießbürgertum. Der intelligente Kriminalkommissar Scheuerlein bewegt sich unbeirrt und trotz dieser Widrigkeiten und der Erwartungsstimmung des bevorstehenden Reichsparteitages. Er kann den Fall klären, soviel sei verraten. | |
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