Romanauszüge aus "Reichsparteitag"

Leseprobe 1 2 3 Bilder zum Roman gibt es in der Galerie

Seite 2 Seite 3
Fackelzug

Donnerstag, 8. September, abends

Die Deutschherrenwiese leuchtete. Links neben der Pegnitz gelegen spiegelten die Lichter herunter vom Stadtteil Kleinweidenmühle, dahinter blinkte Sankt Johannis mit seinen Hesperidengärten. Scheuerlein dachte an die Figuren in den Gärten, die von einer sehr reich gewordenen Bürgerseligkeit kündeten. Freiheit versprachen sie und Phantasie. Vor dieser Kulisse spielte die Szenerie, das Ritual dieser Nacht, dieses Abends. Kühl stieg feuchte Luft von der Pegnitz herauf, lagerte sich am schon weichen Boden über den Wiesen an. Dieser Septemberabend besaß einen hohen Himmel, Sterne leuchteten aber noch nicht, die vielen Fackeln strahlten zu hell. Qualm und Prasseln des Pechs an diesen erfüllte die Luft. Kommandos ertönten, nach SA - Sturm und Herkunft geordnet stellten die Politischen Leiter sich auf, zertraten den Rasen (und andere Ideen, Scheuerlein!) unter ihren Füßen. Die meisten von denen wußten sicher nicht, daß dieser Rasen, diese Wiesen an der Kleinweidenmühle für die Geschichte der Stadt eine andere Bedeutung hatten als für sie.

Hier hatte der 1. Fußballclub Nürnberg seine ersten Spiele ausgetragen, am Anfang noch wenig organisiert. Fußball war am Ende des letzten Jahrhunderts eine Sportart gewesen, die "man" nicht spielte, die nur Proletarier taten, wie jede Art von Körperlichkeit. Die herrschende Schicht des großen Bürgertums pflegte Konversation und ihre Gärten. Wenig Platz gab es in der Natur für den Arbeiter, nur eben die Deutschherrenwiese, die diese Fackelträger nun unter ihre Stiefel nahmen. Und nicht nur diese Wiese, auch das neue Trainingsgelände des Club in Zabo dient jetzt den NS - Kampfspielen, dachte er.

Vor der Marschkolonne nahm ein Spielmannszug Aufstellung, intonierte zuerst das Deutschlandlied, dann das von Horst Wessel. (Scheuerlein, schlossen sich diese beiden nicht eigentlich aus? Das eine spricht von Freiheit, das andere verkündet die Herrschaft einer Partei?) Die Fackeln zischten. Manchmal hörte man ein Fluchen, wenn eine schlecht gewickelte Fackel heißes Pech auf die Hand eines Parteileiters tropfte. Scheuerlein betrachtete die Gesichter genauer, die am Rand der abmarschbereiten Kolonnen standen. Meist aufgeschwemmte rundliche Gesichter vom Land. "Bauernköpf!" hatte seine Mutter immer gesagt, wenn sie auf dem Markt derer angesichtig wurde. Einer faszinierte ihn besonders. Der Hals quoll in Falten über das Braunhemd, die stumpfen Augen blickten regungslos geradeaus. Was konnte so ein Mensch denken? Dicke, hängende Backen ließen seinen Mund klein erscheinen, diese erzitterten im eintönigen dumpfen Marschtakt.

Der Zug setzte sich in Bewegung, in langsam trippelnden Schritten nahmen die Politischen Leiter den Marsch auf, fanden langsam zum Gleichschritt. Scheuerlein hatte die Aufgabe, bis zum Abmarsch der letzten Formationen auszuharren und an der Absperrung zur Praterstraße Wache zu halten. Immer wieder hatten nämlich begeisterte Frauen von Teilnehmern versucht, ihre Männer zu begleiten, was zu erheblichen Störungen im Ablauf geführt hatte. Das Heil soll darüber gar nicht begeistert gewesen sein, mußte es doch beim Reichsparteitag 1936 statt zwei geplanten Stunden drei Stunden den Arm gestreckt halten. (Am nächsten Tag, Scheuerlein, das kannst du bestätigen, sah er sehr müde aus. Kann aber auch an den nicht genehmigten Standkonzerten vor dem Deutschen Hof bis spät in die Nacht gelegen haben. Das hatte die Polizei zum Unmut der Volksgenossen dieses Jahr verhindert.)

Seite 2 Seite 3
Leseproben aus "Luftlage" Leseproben aus "Verhandlung"