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Scheuerlein erhob sich über den Schreibtisch und reichte seine rechte Hand, Rotter drückte sie kurz und stand ebenfalls auf, ging zur Türe, öffnete diese. Scheuerlein konnte einen der beiden Polizisten von seinem Standpunkt aus sehen, winkte kurz dem Beamten zu. "Kann passieren!" Der Beamte legte die Hand an die Schirmmütze und nickte. Die Beine hielt er vorschriftsmäßig geschlossen, trat an die Wand zurück und aus Scheuerleins Gesichtsfeld. "Warten Sie!" rief er den Schupos zu.
Über die Schulter grüßte Rotter noch und verließ den Raum. "Meine Herren, treten Sie bitte ein. Ich hätte an Sie auch noch ein paar Fragen, also?" Vorsichtig steckte der erste der Schupos seinen Kopf durch den Rahmen, blickte leicht ungläubig, was denn das werden sollte.
ROSENBERG: In Deutschland wurden dann die Dinge so gehandhabt, daß die Bombengeschädigten diese ihnen zur Verfügung gestellten Wohnungseinrichtungen und Haushaltgegenstände bezahlten, und daß diese Lieferungen ihnen von ihren Ansprüchen, die sie an den Staat hatten, abgezogen wurden. Dieses Geld ist in einen Sonderfonds des Reichsfinanzministers eingezahlt worden. Dieses Dokument 001-PS enthält nun im Punkt 2 eine Anregung, die ich persönlich als eine schwere Belastung für mich ansehen muß. Es ist dies ein Hinweis darauf, daß angesichts vieler Ermordungen Deutscher in Frankreich nicht nur Franzosen bei den Geiselerschießungen erschossen, sondern daß auch jüdische Staatsbürger zur Verantwortung gezogen werden sollten. Ich möchte bemerken, daß ich an sich die Geiselerschießungen, weil sie ja auch öffentlich bekanntgegeben worden waren, als eine im Kriege unter besonderen Umständen zulässige Maßnahme angesehen habe. Denn die Tatsache, daß diese Dinge von der Wehrmacht durchgeführt wurden, schien mir das Ergebnis einer selbstverständlichen Überprüfung zu sein, um so mehr, als es sich um ein Gebiet handelte und einen Staat betraf, mit dem das Deutsche Reich ja einen Waffenstillstand abgeschlossen hatte.
Scheuerlein ließ eine kleine Pause, schaute dem Beamten fragend ins Gesicht. "Und womit sollen die Leute dann heizen, wenn's draußen minus zehn Grad hat? Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich finde ..."
"Das ist gar keine Frage. Da wird nach Gesetzeslage entschieden. Und außerdem bin ich nicht befugt, mit Ihnen darüber zu sprechen. Haben Sie noch weitere Fragen oder können wir abrücken?"
Mit einer abwehrenden Handbewegung entließ Scheuerlein die beiden Schupos. "Danke für die Auskünfte, entschuldigen Sie, daß ich Sie aufgehalten habe."
Beide Beamte salutierten, zogen die Hacken dabei zusammen und verließen den Raum, gar nicht leise.
Die Tür zitterte ein wenig nach, nur am aufgewirbelten Staub, der in dem einfallenden Sonnenstrahl spielte, war dies zu erkennen. Mit einem Ruck wendete sich Scheuerlein seinem Schreibtisch zu. Gedankenverloren spielte er mit seinem Radiergummi, legte ihn wieder neben die beiden Bleistifte, die jeweils gelb mit ihrer schwarz lackierten Spitze den Untergrund linierten. "US - Zone" stand auf diesen, gedruckt mit silbriger Schrift. Behördenbedarf, bestimmt hergestellt auf den gleichen Maschinen in Stein wie früher die Marke "Propaganda", in Grün. Allerdings, so meinte er sich zu erinnern, schrieben die früher weicher. Man konnte sich aber auch täuschen. Er nahm einen in die Hand, rollte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger solange, bis seine Linke den Akte vom Stapel gezogen hatte. Mit einem leiseren Klatschen fiel sie mitten auf die Schreibunterlage, sein Bleistift begann zu blättern, hielt zu Beginn des Abschnittes "Befragungen/Zeugenaussagen" an, stieß bei "Schäffer" zwischen die Seiten, las.
"Während der Tage, die mir vom Polizeiobermeister König als Tatzeitraum angegeben worden sind, habe ich den Verstorbenen Hans Meinlein nicht gesehen, auch nicht außerhalb des Hauses. Dieser ist mir bekannt als Mieter in diesem Haus seit 1938, seinen Zins hat dieser immer pünklich beglichen. Das war meine Aufgabe gewesen, im Auftrage des Eigentümers als Obmann den Mietzins zu kassieren. Dabei konnte ich Einblick nehmen auch in die privaten Umstände Meinleins, diese müssen als sehr geordnet gelten. Privaten Kontakt hatten wir früher öfter, mit der Änderung der Zeiten war dann seltener Zeit dazu, dies mag auch an der starken Beschäftigung von ihm gelegen haben, er hatte viel Arbeit am Bahnhof. Irgendwelche Auffälligkeiten im Haus zu diesem Zeitpunkt hat es nicht gegeben, auch Fremde habe ich nie gesehen. Er lebte allein, unter der Woche zurückgezogen, eher selten ging er aus."
Polizeiobermeister König hatte dies alles notiert, brav und wörtlich. Auch mit Datum, 15. Januar, Uhrzeit 15 Uhr 43. Säuberlich über der Seite in einer ablinierten Rubrik.
"Als ich ihn dann vorhin gefunden hab', das war, weil ich die Miete, mache ich ja immer, habe ich schon gesagt, kassieren wollte, es ist ja der 15., hat er nicht aufgemacht, wo er doch sonst immer gleich an die Wohnungstüre gekommen ist. Bestimmt fünf Mal habe ich geklingelt, nichts hat sich gerührt. Dann bin ich eben hinunter in meine Wohnung und hab' den Dietrich geholt, war nicht schwer, die Türe aufzumachen, sie war nur eingeschnappt. Und es war nicht gleich zu sehen, daß da etwas nicht stimmte. Aber es roch so komisch. Ich kenne ja den Geruch, aus dem Krieg, ich kann Ihnen sagen ... Ich bin dann weiter, mache die Wohnzimmertüre auf und ..."
Scheuerlein schlug den Ordner zu.
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