Romanauszüge aus "Reichsparteitag"

Leseprobe 1 2 3 Bilder zum Roman gibt es in der Galerie

Seite 1 Seite 2

Verwundert nickte der Posten am Eingang des Präsidiums, sah auf mit einem Deutschen Gruß und bemerkte: "Sie sind der dritte um diese Uhrzeit. Das Licht in den Gängen ist schon aus! Wenn Sie's anmachen, löschen Sie es bitte wieder, Herr Kommissar! Guten Abend!" Ob man nach den Schaltern an jeder Treppe und in zwei Fluren, die Scheuerlein zu durchqueren hatte, suchte, oder gleich im Dunkeln nach oben ging, war einerlei. Es dauerte deutlich länger als am Tag und barg die Gefahr, ohne Zähne oben anzukommen. In der Dunkelheit sah man den Führer in seiner Ecke überhaupt nicht. Man könnte doch Kerzen über Nacht hinstellen, dann leuchtete das Heil immer, dachte er. Kurz klopfte er an Züges Zimmer. Ein leises "Herein" ließ ihn eintreten. Kalt fühlte sich die Klinke in der Hand an. Auch sonst fröstelte ihn.

Die beiden anderen saßen schon, hatten sich scheinbar aber nicht unterhalten. Eine schwierige Situation für Züge, mit einem viel höheren Vorgesetzten kann man nicht einfach über den Alltag oder das Wetter plaudern. Ein dritter Stuhl war da, einer, im Zweifelsfall Züge, mußte diesen geholt haben. Er grüßte zivil.

Scheuerlein setzte sich, nachdem Schley ihn mit einer Handbewegung dazu eingeladen hatte.

"Fangen wir an?" fragte Züge. Schley und Scheuerlein blickten eher unbeteiligt, zweiterer deutete auf seinen Mund und machte eine fragende Geste.

"Das hat schon seine Richtigkeit", nickte er, sichtlich in der Hoffnung, die beiden anderen ließen sich darauf ein. Stumm stimmten Schley und Scheuerlein zu. (Züge wollte spielen, wollte die anderen aus der Reserve locken, so viel war klar, man kann es versuchen. Morgen muß man sowieso öffentlich inoffiziell damit heraus. Also, warum nicht, Scheuerlein?)

Züge faßte zusammen. Sie hätten ihn, Grafenberger, Kriminalrat und Sturmbannführer. Von der Indizienseite her - ein direkter Tatbeweis fehlte. Aber normalerweise reichte das für eine Anklage, außerdem darf man nicht vergessen, daß das Etui schließlich neben der Ermordeten gefunden worden war. Und er war einschlägig vorbestraft, der Aktenverweis war da. 1928, zwei Jahre. Züge sprach von der Differenz der gelieferten Akten. "Wo sind denn eigentlich die fünf bei uns nicht aufgetauchten Vorgänge geblieben? Wieso haben Sie, Herr Kriminalrat Schley" - Züge betonte den Titel besonders - "diesem Vorgehen zugestimmt auf Druck der GeStaPo?"

Schley räusperte sich, sichtlich verlegen. "Erstens: Grafenberger war bei mir, bat mich darum, ist ja schließlich auch ein Kollege. Sprach von damaliger ‚Systemjustiz' und Willkür. Er sei unschuldig gewesen. Ich sagte mir, wäre er sonst bei der Polizei, wenn auch bei der politischen? Also habe ich ihm die fünf Akten später zukommen lassen. Und zweitens: Eine Ermittlungsserie gegen Parteigenossen und sogar in der GeStaPo hätten wir, so meine damalige Ansicht, so kurz vor einem Reichsparteitag nicht brauchen können. Gerade nicht durch Sie beide. Dann aber, als Sie erste Ergebnisse brachten, besonders nachdem Sie, Herr Scheuerlein, die Sache mit § 180 in der Merkur erwähnten, war mir klar, daß ich da einen Fehler gemacht habe. Seither habe ich Ihnen freie Hand gelassen, haben Sie das nicht bemerkt? Sie taten mir aber leid, mit Ihrem Gesicht, Herr Kollege Scheuerlein!"

Scheuerlein blickte an beiden vorbei durch die Wand. Wenn er sich fest vorzustellen versuchte, wo die Kabel endeten, die sie alle jetzt begleiteten, sah er in ein tiefes Schwarz. Sicher hatten in diesem Gebäude schon vor ihm viele derart gefühlt. "Doch, schon. Aber was die GeStaPo anbelangt, da hätten wir einfach mehr Rückendeckung gebraucht".

"Ich dachte nicht, daß Sie beide noch zu einem Erfolg kommen, Herr Züge, Herr Scheuerlein". Auch er betonte die beiden Namen deutlich.

"Gut", schaltete sich Scheuerlein ein, "wie verfahren wir jetzt weiter? Mein Vorschlag: Wir warten, bis der Reichsparteitag vorüber ist, dann ist die Sache übersichtlicher. Und aus Berlin ist dann auch niemand mehr da". Dabei zwinkerte er. "Genaueres könnten wir morgen früh besprechen. Um neun bei mir im Büro? Ich bin entsetzlich müde".

Die beiden anderen stimmten zu. Alle drei standen auf und reichten sich die Hände. "Eine gute Nacht noch, die Herren!" Schley verließ als erster Züges Büro, schloß aber die Türe nicht hinter sich. Der Weg nach draußen durch die Flure war genau so beschwerlich wie vorhin. Kein Licht. Dem Pförtner nickten beide zu, das Portal schloß sich schwarz und bei der Kühle ohne Quietschen, lautlos.

Kurz vor dem Plärrer begann Scheuerlein zu reden ...
Seite 1 Seite 2
Leseproben aus "Luftlage" Leseproben aus "Verhandlung"