Romanauszüge aus "Luftlage"

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Der Kellner hatte sich über Scheuerlein gebeugt, und die zwei Halben von seinem Silbertablett auf den Tisch gestellt. Schaum perlte herab, sammelte sich auf dem Bierfilz, der in dem kleinen Untersetzer aus Zinn lag, um den Fuß des Glases herum. Mit einer Drehung entfernte sich der Ober, sein Frack saß tadellos.

"In der Ukraine, dann im Generalgouvernemant. So vor den Russen her. Je weiter die kamen, desto schneller arbeiteten wir. Wenn man das Arbeit nennen kann oder Dienst."

"Wieso? Sie waren doch als Polizei dort. So war das doch 41 besprochen worden. Sicherungsaufgaben hinter der Front, gegen Plünderungen und im Ersatz zu den Polizeibehörden der besetzten Länder. Das war die Dienstanweisung."

"Schon", Züge senkte die Stimme, "aber so war es nicht. Plünderer haben wir nie gesehen. Die hatten alle eine solche Angst vor uns. An Plündern hat keiner auch nur gedacht dort. Es gab gar nichts, was man hätte klauen können in der Ukraine. Lebensmittel, Getreide, alles zum Transport." Er deutete auf die Semmeln. "Glauben Sie, daß das deutscher Weizen ist? Zur Hälfte bestimmt nicht. Und dort ist Hunger. Habe ich gesehen. Bettelnde Kinder, mager wie Gespenster. Und schlimmer."

Züges Augen glitzerten. Scheuerlein schwieg.

"Und dann bekamen wir Befehle, am Anfang, das war im Spätsommer 41, nur zur Absperrung. Verkehr regeln und so. Aber nicht so der Verkehr wie hier. Leute ins Wochenende und zum Einkaufen, nein, das waren nur graue Laster, mit Menschen drauf. Wir konnten uns zuerst nicht erklären, wohin die fuhren. Umsiedelung hat man uns gesagt. Seien Juden. Alles drauf auf den LKWs. Alte, Junge, Kinder. Soweit in Ordnung. Aber später, als die Russen immer mehr gedrückt haben, so im Herbst 42, haben wir die Orte nicht nur abgesperrt und den Verkehr geregelt. Wir ..." Er unterbrach sich, fummelte ein graues Taschentuch aus der Hosentasche, schneuzte leise.

"Wir haben die Sachen gemacht, die vorher die SS gemacht hat. Dann haben wir's gewußt. Aber - keiner hat was dagegen gesagt - ich auch nicht. Man wollte ja nicht als Feigling gelten. Wie viele, weiß ich nicht mehr ..."

"Wie?"

"Naja. Die wurden dann vergraben. Bitte fragen Sie nicht. Mir bleiben die Bilder dauernd im Kopf, ich bring' sie nicht los und das wird auch nicht, ich habe ... wir haben alle jeden Tag eine Flasche Schnaps bekommen. Das nutzt auch nichts. Manchmal haben Sie Ladehemmung. Und dann? Und wenn nicht alle ihr's haben? Dann müssen Sie runter in die Grube. Da ist es nicht leise. Das weiß ich jetzt. Es bewegt sich. Und ist weich. Ich schaff' das nicht."

Scheuerlein schwieg, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, beobachtete aber den Raum, ob jemand sich verstohlen umwendete nach ihnen. Er konnte nichts entdecken.

"Und was mach ich jetzt? Ich hab doch selbst einen Buben. Was glauben Sie, wie viele, und wenn die weinen auf dem Arm und dann ... es ist doch getan worden. Und ich ..."

"Die ham's jetzt, die sind durch!" rief der Koch aus der Küchenluke, deren Rolltürchen er geöffnet hielt.

Züge beherrschte sich. "Das war in Kortelisy."

"Wo?"

"So am Rande der Welt."

Mit Schwung stellte der Kellner die beiden Teller mit den Bratwürsten auf den Tisch. Das Kraut dampfte.

Die Bissen wollten beiden nicht recht schmecken.

Scheuerlein überlegte. Kaute langsam, sprach langsam. "Wenn Sie darüber mit jemand anders reden, sind Sie geliefert. Zu einem Pfarrer vielleicht? Aber Vorsicht. Die halten sich nicht alle an Ihre Schweigepflicht. Weiß ich aus der Aktenlage."

Züge blickte auf.


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