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"Aber Sie sind ja ganz weiß! Geht's Ihnen nicht gut?" Die alte Frau von oben blickte ihn an. "Brauchen's was zu essen? Ihr Junggesellen eßt ja immer nix. Da, ich hob' was, nehmas des Meedworschdbrod. Is frisch, des hilft!"
"Danke, aber ich brauche nichts ..."
"Eddz nehmers schon! Mir kann iich ja glei oohm widder aans machen, gell!"
Scheuerlein griff zu, biß ab und kaute verloren. Das Metronom drang wieder regelmäßig in sein Gehör. Er sah, wie er beobachtet wurde, verstohlen. Nur das rotblonde Mädchen lächelte herüber und zeigte versteckt auf ein freies Stück Bank an der Wand gegenüber; dabei nickte es. Sie trug einen grünen Pullover, hatte einen rosa Schal um den Hals gewickelt. Ihrem Bruder war sie immer noch peinlich, man sah es. Von draußen drang kein Laut nach unten, es blieb still.
Scheuerlein bewegte sich langsam auf die Bank zu, versuchte den anderen auszuweichen, auch Blickkontakt vermied er. Seine Beine ließen ihn niedersinken, der Banknachbar rückte sofort die wenigen Zentimeter der sozialen Distanz von ihm ab. Rechts lag auf einem kleinen Tischchen, mit der unvermeidlichen Häkeldecke bedeckt, ein Kochbuch. Er schlug es auf. "Falsches Hirn" würde heute aus Haferflocken gemacht, las er. Dazu zwei Tassen Milch, eine gehackte Zwiebel, ein Eßlöffel Butter, Margarine und zwei Eier. Ein Eßlöffel Reibekäse. Hirn, falsches, also aus Haferflocken und Reibekäse - na wunderbar. Gegessen hatte er das noch nie, geschweige denn gekocht. Aber auf die Situation im Keller bezogen, mußte er verhalten lachen, dabei kam unwillkürlich die bildgewordene Vorsehung in sein Augenfeld.
Ein wütender Blick traf ihn, gepaart mit einem Kopfschütteln.
Die neuen Balken in seiner Nähe verströmten den angenehmen Duft frischen Holzes, nach Wald. Weihnachtsbäume, dachte er.
"Achtung, Achtung! Wir geben die neue Luftlagemeldung: Feindliche Verbände im Planquadrat U drei. Wir kommen wieder!" Der Hauswart zeigte mit dem Finger auf die graue Karte an der Wand. "Regensburg. Uns lassen's heut in Ruh! Warten wir noch auf die Entwarnung." Das Metronom tickte noch, verlöschte, das Klicken eines Schalters war zu hören, Onkel Baldrian hatte sich ab- und den Reichsrundfunk aufgeschaltet. Deutsche Tanzmusik ertönte, zur Weihnacht.
Ein langgezogener Heulton erklang. Eine schöne Minute.
"Bunkertüre öffnen!" kommandierte der Hauswart, zugleich ganz wichtiger Luftschutzwart. Sein Stellvertreter nickte und umschloß mit seiner kräftigen Rechten den oberen Hebel an der grauen Stahltüre, gleich darauf den unteren. Mit einem blechernen Quietschen schob sich die Türe nach außen auf, wenig Frischluft strömte aus der kleinen Gasschleuse, dem Vorraum, nach. Dumpf klang die Türe. Scheuerlein blieb sitzen, wollte warten, bis auch die äußere Türe geöffnet worden war, wollte sich dem Knäuel der Menschen nach der vorherigen Erfahrung nicht aussetzen.
"Sie wollen wohl gar nicht mehr raus hier?" sprach ihn ein Volksgenosse an, dazu grinste er breit, der Mensch aus dem ersten Stock. Sein Atem roch nach Bier.
Die alte Frau aus der Mansarde lächelte ihn an, dabei zeigte sie eine Zahnlücke.
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